Published: Blauen Narzisse.
Die serbische Publizistin Dragana Trifkovic ist Direktorin des Belgrader „Center for Geostrategic Studies“. Sie beobachtete die Wahlen in der Ostukraine vor Ort. Ein Gespr?ch.
BlaueNarzisse.de: Frau Trifkovic, die meisten westlichen Medien berichteten, die Wahlen in den beiden Volksrepubliken der Ostukraine vom 2. November w?ren gef?lschte Wahlen gewesen. Sie waren dort. Was haben Sie gesehen?
Dragana Trifkovic: Die westlichen Medien leben seit sehr langer Zeit in einem Paralleluniversum. Aber mit der Realit?t, in der reale Dinge im Leben der Menschen passieren, hat diese Propaganda nichts zu tun. Wenn Sie zuerst an den Zweck dieser Wahlen denken, dann werden Sie darin ?bereinstimmen, dass die Menschen ein Bed?rfnis haben, ihren Willen auszudr?cken und die Politiker zu w?hlen, die ihre Interessen vertreten. Leider bietet der Westen nicht mehr diese M?glichkeit an. Die sogenannte Demokratie nach den heutigen Regeln ist nicht mehr angemessen. Sie ist sogar extrem antidemokratisch. Das US-amerikanische System wurde in den europ?ischen L?ndern durchgesetzt. Es erm?glicht angeblich eine freie Wahl, doch die ist auf die Wahl zwischen zwei Seiten derselben Medaille beschr?nkt.
Was bedeutet etwa die Wahl zwischen Sozialisten und B?rgerlichen, wenn sie beide eine Politik in ?bereinstimmung mit den Interessen der globalen Oligarchie betreiben? Wie ist es m?glich, dass der gewaltsame Umsturz vom Kiewer Maidan vom Westen als legitim betrachtet wird – und die freie Wahl in den ostukrainischen Volksrepubliken dagegen als inakzeptabel und falsch?
Ich war als Beobachterin im Gebiet von Lugansk vor Ort. Die Wahlen wurden sehr gut organisiert, insbesondere unter dem Aspekt einer Durchf?hrung inmitten des Krieges. Die Wahlbeteiligung war hoch. Bereits am fr?hen Morgen warteten die Menschen in Schlangen, um w?hlen zu k?nnen. Wir sprachen mit den Menschen und begriffen, dass die Wahlen f?r sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verk?rperten. Doch wir sahen auch zerst?rte H?user, Schulen und Fabriken.
In Deutschland dagegen hie? es, die Regierung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk h?tten ihre Bev?lkerung gezwungen, an der Wahl teilzunehmen. Geb?ude, die fr?her zur Stimmabgabe genutzt wurden, sollen geschlossen worden sein. Damit h?tten k?nstliche, ?ffentlichkeitswirksame Schlangen vor anderen Geb?uden erzeugt werden sollen…
Das ist nicht wahr! Die Menschen wollten w?hlen und in diesen Wahlen sahen sie die M?glichkeit, ihre Regierung auszutauschen.
Aber die bisherige F?hrung der Volksrepubliken wurde doch wiedergew?hlt?
Die Einwohner von Donezk und Lugansk wollten die aktuellen Machthaber aus Kiew demokratisch abw?hlen, nicht die Selbstverteidigungskr?fte!
Wie erw?hnt: Wir sprachen mit den Menschen an den Wahllokalen. Alles wurde auf Video aufgenommen. Sie erz?hlten uns, dass sie selbst dar?ber entscheiden wollten, wem sie die Macht geben – anstatt den US-Amerikanern oder den Oligarchen. Die W?hler berichteten uns auch von ihrem Leiden seit Kriegsbeginn. Und sie verstehen nicht, warum die ukrainische Armee auf sie und ihre H?user schie?t. Die Schlangen haben sich aufgrund der hohen Wahlbeteiligung gebildet. Es gab keinen Zwang. Die Wahlen waren frei und demokratisch.
Welche Rolle spielte dabei die russische Armee?
Die russische Armee spielte keine Rolle bei dem in der Ukraine erzeugten Konflikt. Das Ziel des Westens war es von Beginn an, Russland zu provozieren und die russische Armee in den Krieg hineinzudr?ngen. Auf der einen Seite wurde Russland nat?rlich gebeten, den russischen Menschen in der Ukraine zu helfen. Auf der anderen Seite gab es die verbindliche Entscheidung, alle Anstrengungen f?r eine friedliche L?sung des Konflikts zu unternehmen. Putin ist an Rechtsstaatlichkeit und eine politischen L?sung gebunden. Die westlichen Medien aber erzeugen oft absichtlich Verwirrung: Sie unterscheiden nicht zwischen Selbstverteidigungskr?ften, Freiwilligen und der russischen Armee.
Sie selbst kommen aus Serbien. Warum haben Sie sich ?berhaupt entschieden, Russland und die Selbstverteidigungskr?fte der Ostukraine zu unterst?tzen?
Serbien war ein Teil Jugoslawiens, also des Gebietes, in dem B?rgerkriege Ende des letzten Jahrhunderts stattfanden. Ich will hier betonen, dass die Serben diejenigen waren, die die Gr?ndung Jugoslawiens initiierten und sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg mit gewonnen haben. Anders war es bei den Kroaten: Sie standen auf der Gegenseite – nichtsdestotrotz wurden sie in Jugoslawien akzeptiert.
Dasselbe jugoslawische Szenario wiederholt sich heute in der Ukraine. Der Westen hat die Extremisten und Fanatiker unterst?tzt, um eine Seite beschuldigen zu k?nnen und die Opfer in Aggressoren zu verwandeln. W?hrend des Krieges in Ex-Jugoslawien trainierten und bewaffneten US-Gener?le die kroatischen Truppen mithilfe privater Milit?runternehmen. Kroatische Streitkr?fte wiederum jagten Serben aus deren angestammter Heimat, mit US-amerikanischer Unterst?tzung. Und sie unterst?tzten auch die muslimischen Extremisten in Bosnien. Niemand wurde daf?r verantwortlich gemacht. Auch nicht f?r die Bombardierung Serbiens, die internationales Recht verletzte und auf falschen Anschuldigungen beruhte.
Heute wiederum k?nnen wir sehen, wie US-amerikanische Politiker die Extremisten in der Ukraine unterst?tzen und private US-Milit?rfirmen dort operieren. Und diesmal wird Russland f?lschlicherweise beschuldigt. Die Selbstverteidigungskr?fte waren gezwungen, ihr eigenes Recht auf Leben und ihr Recht auf die Verst?ndigung in der eigenen Sprache und dem eigenen Alphabet zu erk?mpfen. Es wurde eine grausame Schlacht in Gang gesetzt, eine Schlacht f?r die Menschenrechte – und nicht f?r das, was die USA durchsetzen wollen. Der Westen w?rde gern Russland als Aggressor darstellen. Aber es gen?gt, auf die
Die meisten der westlichen Medien berichten, anders als im Falle von Donezk und Lugansk, die Einwohner des Kosovos sollten in der Lage sein, selbst ?ber ihre Zukunft und ihre Regierung zu entscheiden. Was denken Sie dar?ber? Und was ?ber die Legitimit?t der „Republik Kosovo“?
Ich betrachte das Problem des Kosovos und Metohijas, also des westlichen Teils der illegitimen Republik Kosovo, aus einem sehr einfachen Blickwinkel – vergleichbar zur Ukraine. Der Kosovo und Metohija bilden einen historischen Teil Serbiens. Es ist ein Gebiet, mit dem die Serben geistig verbunden bleiben. Die Ukraine war wiederum ein integraler Bestandteil Russlands. Dort gibt es auch eine starke spirituelle und historische Verbindung, eben zwischen Russland und der Ukraine. Letztere wurde nach dem Kollaps der Sowjetunion unabh?ngig. Bei diesem Thema machen sich die doppelten Ma?st?be des Westens deutlich bemerkbar!
Die USA haben die Grenzlinien neu gekennzeichnet und neue „Nationen“ begr?ndet, um ihre ?konomischen und politischen Interessen durchzusetzen. Das Kosovo wurde von Serbien durch NATO-Bomben getrennt und sp?ter durch deren aggressive Politik, die auch den Bruch des internationalen V?lkerrechts herbeif?hrte.
Au?erdem war es beabsichtig, die Ukraine von Russland zu trennen. Die Widerspr?che innerhalb dieser Taktik basieren auf den Interessen der Vereinigten Staaten, nicht auf internationalem Recht. Die USA z?gern nicht und sind bereit beispielsweise mit den Terroristen der „Kosovo Liberation Army“ (U?K) zusammenzuarbeiten, um ihre Ziele zu erreichen. Der Kosovo ist kein Staat und wird es nie sein. Innerhalb der gegenw?rtigen geopolitischen Ver?nderungen hat eine L?sung dieser Themen bez?glich der von Serbien entfremdeten Provinz noch nicht einmal begonnen. Wir aber glauben, dass die internationale Gemeinschaft damit die Rechtsstaatlichkeit neu festlegt.
Sie sind Direktorin des Center for Geostrategic Studies in Belgrad. Was w?rden Sie uns Deutschen, aber auch unserer Regierung, zu den erw?hnten geopolitischen Konflikten raten?
Es ist offensichtlich, dass die USA Konflikte zwischen Deutschland und Russland erzeugen. Sie wollen die Kontrolle ?ber die internationalen Beziehungen behalten. Doch Russland und Europa sind geopolitisch miteinander verbunden. Ein Spalt zwischen ihnen w?re alles, aber keinesfalls nat?rlich und selbstverst?ndlich. Deutschland hat enge ?konomische Beziehungen zu Russland – und dabei sollte es bleiben! Was die deutsche Regierung betrifft: Sie sollte die Interessen ihrer B?rger vertreten und nicht die von Washington oder Br?ssel. Kompromisse auf ihre eigene Kosten und andauernde R?ckz?ge werden nicht zu positiven Ergebnissen f?hren. Die Wiederholung historischer Fehler und eines Konflikts mit Russland kann nur zu einem neuen Desaster f?hren. Deutschland braucht politische Machtmittel, um seine eigenen Interessen zu verteidigen. Das bedeutet auch Ungehorsam gegen?ber Washington!
Frau Trifkovic, vielen Dank f?r das Gespr?ch!
Oberes Bild: Dragana Trifkovic
Unteres Bild: Trifkovic im ostukrainischen Lugansk