NORTEXA. Zu Besuch im Donbass – Im Gespr?ch mit Manuel OchsenreiterPHOTO: Manuel Ochsenreiter mit Natalya Nikonorova, der Au?enministerin der Volksrepublik Donezk.

Published: NORTEXA. 01.08.2016.

„Granaten auf Zivilisten werden indirekt von der Bundesrepublik mitfinanziert“

Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Zuerst!, ist bekannt daf?r, abseits des Mainstream von Brennpunkten des Weltgeschehens zu berichten. Zuletzt besuchte er die Volksrepublik Donezk, welche sich nach dem Kiewer Putsch 2014 von der Ukraine abgespalten hatte. Nortexa wollte mehr dar?ber erfahren.

Das Gespr?ch f?hrte Ruedi Strese

Nortexa: Herr Ochsenreiter, Sie waren k?rzlich in der Volksrepublik Donezk, die sich im April 2014 nach dem „Euromaidan“ von der Ukraine gel?st und f?r unabh?ngig erkl?rt hat, auf „Beobachtungsmission“. Was sollten Sie dort beobachten?

Ochsenreiter: Der Schwerpunkt lag diesmal bei der Beobachtung der Vorwahlen in der Donezker Republik. Diese sind ein wichtiger Schritt im Vorfeld der anvisierten Regionalwahlen. F?r die Verantwortlichen in Donezk ist es wichtig zu zeigen, da? sie eben keine „Terroristen“ sind, wie sie von Kiew und einigen westlichen Medien und Politikern genannt werden, sondern den Aufbau eines demokratischen Staatswesens vorantreiben. Die deutsche Gruppe von Beobachtern bestand aus zwei Landtagsabgeordneten (Udo Stein aus Baden-W?rttemberg und Thomas Rudy aus Th?ringen) und mir als Direktor des Deutschen Zentrums f?r Eurasische Studien.

Dar?berhinaus beinhaltet eine solche Mission immer auch „Crisis Monitoring“. Wir besuchten mehrere Ortschaften, die fast tagt?glich den Bruch der Minsker Vereinbarungen durch die ukrainische Seite ertragen m?ssen – also beschossen werden.

Nortexa: Gibt es derzeit realistische Aussichten auf eine dauerhafte friedliche L?sung f?r den Konflikt um die Ostukraine?

Ochsenreiter: Um eine friedliche L?sung zu finden, m?ssen sich alle Parteien am Verhandlungstisch auf einen Status f?r das umstrittene Gebiet einigen. Das gleicht derzeit in der Tat der Quadratur des Kreises: die ukrainische Seite und ihre westlichen Verb?ndeten pochen auf die territoriale Integrit?t der Ukraine, die Repr?sentanten des Donbass nehmen das Selbstbestimmungsrecht der V?lker f?r sich in Anspruch. Die Fronten scheinen sich derzeit eher zu verh?rten als sich auf einen Kompromi? zuzubewegen. Kiew k?ndigte bereits mehrmals S?uberungen in den heutigen Volksrepubliken im Falle einer R?ckkehr in den ukrainischen Staat an.

Solche Prozesse wie die Minsker Verhandlungen k?nnen sich in die L?nge ziehen. Bestes Beispiel: Berg-Karabach. Seit 1994 wird von der Minsker Gruppe der OSZE ?ber das Gebiet, das v?lkerrechtlich als Teil Aserbaidschans gesehen wird, sich aber nach dem Zerfall der Sowjetunion f?r unabh?ngig erkl?rt hat, weitestgehend ergebnislos verhandelt. Die Republik Berg-Karabach wird heute zwar von niemandem anerkannt, aber sie existiert und hat alle staatlichen Institutionen entwickelt. ?hnlich k?nnte es auch im Fall der beiden Donbass-Republiken gehen.

Nortexa: Die Bezeichnung f?r Donezk in den hiesigen Mainstreammedien ist „selbsternannte Volksrepublik“. Wie aber ist das Selbstverst?ndnis dieser Volksrepublik Donezk?

Ochsenreiter: Zun?chst ist der Begriff „selbsterkl?rt“ zwar richtig, aber immer auch etwas irref?hrend. Nat?rlich haben sich die beiden Gebiete um Donezk und Lugans „selbst zu Republiken“ erkl?rt, wer h?tte das auch sonst tun sollen? Der Begriff „selbsterkl?rt“ spielt aber vor allem auf die fehlende internationale Anerkennung an. Die ukrainische Seite sowie die westlichen F?rderer des Kiewer Regimes wollen Donezk und Lugansk die Legitimation absprechen. Das Selbstverst?ndnis beispielsweise der Volksrepublik Donezk ist nat?rlich ein v?llig anderes: „Wir haben uns nach dem Putsch in Kiew im Fr?hjahr 2014 f?r unabh?ngig erkl?rt. Wir bauen unser eigenes Staatswesen auf.“

Nortexa: Inwieweit kann von einem funktionierenden Staat gesprochen werden?

Ochsenreiter: Wir k?nnen ?ber den Aufbau eines Staatswesens unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen sprechen. Es w?re naiv anzunehmen, da? mit der Unabh?ngigkeitserkl?rung 2014 automatisch ein pl?tzlich vollentwickeltes Staatswesen dagewesen w?re.

Nortexa: Von anderen Staaten anerkannt ist Donezk, soweit ich wei?, bislang nicht. Inwieweit gibt es aber trotzdem internationale diplomatische Kontakte?

Ochsenreiter: Die Volksrepublik Donezk ist ein nicht-anerkannter Staat, das ist richtig. Und das scheint sich auch vorerst nicht zu ?ndern. Es gibt nat?rlich einen Austausch mit anderen Staaten – allerdings nicht auf offizieller Regierungsebene. Aus Sicht der Donezker Regierung ist jeder Ausl?nder, der die junge Republik besucht, wertvoll.

Nortexa: Es ist zu lesen, da? eine gro?e Zahl von Ausl?ndern nach Donezk gestr?mt sein soll. Stimmt das, und wenn ja, was sind das f?r Menschen? Getarnte russische Truppen? Abenteurer? Leute, die ein neues Utopia suchen?

Manuel Ochsenreiter zur Wahlbeobachtungsmission in Donezk

Manuel Ochsenreiter zur Wahlbeobachtungsmission in Donezk

Ochsenreiter: In der Tat besuchen Ausl?nder – trotz der Proteste aus Kiew – die beiden Republiken. Im Juli war beispielsweise eine finnische Touristengruppe dort. Auch viele ausl?ndische Journalisten habe ich getroffen, Kollegen aus Italien, Gro?britannien, Finnland und Serbien. Russische Truppen habe ich nicht gesehen.

Nortexa: Regierungschef Alexander Sachartschenko hat im Mai erkl?rt, eine Volksabstimmung ?ber einen Anschlu? an Ru?land sei m?glich. F?r Kiew sicher eine absolute Provokation…

Ochsenreiter: Fragt man die Menschen in Donezk, ist eine Vereinigung mit der Russischen F?deration f?r viele das gro?e Ziel. Allerdings ist das derzeit ?u?erst unwahrscheinlich. In Donezk und Lugansk konzentriert man sich vor allem darauf, die staatlichen Strukturen zu entwickeln. Allerdings m??te auch Kiew klar sein, da? jede ukrainische Granate, die in einem Dorf auf dem Territorium der Donezker Volksrepublik detoniert, den Wunsch nach einer Vereinigung mit Ru?land n?hrt.

Nortexa: Wie weit geht ?berhaupt Ru?lands Engagement in Donezk? Was ist die russische Haltung zum dortigen Geschehen?

Ochsenreiter: Zweifelsohne blickt man in Donezk und Lugansk hoffnungsvoll nach Moskau. Ru?land f?hrt in der Frage der beiden Republiken eine deeskalierende Politik. Die Minsker Verhandlungen sind bekanntlich „ergebnisoffen“. W?rde Ru?land tats?chlich einen Krieg provozieren wollen, wie es so viele westliche Journalisten und Politiker behaupten, w?rde Moskau v?llig anders agieren.

Nortexa: Wir k?nnen davon ausgehen, da? die Ansicht von Transatlantikern wie Boris Reitschuster, die in ru?landfreundlichem Journalismus lediglich das Tun von Ru?land zur hybriden Kriegsf?hrung engagierter Putin-Trolle erblicken, nicht der Sachlage entspricht. Wieso aber sollte sich ein konservativer oder patriotischer Deutscher f?r einen nicht einmal anerkannten Zwergstaat im Osten Europas interessieren?

Ochsenreiter: Zun?chst einmal geht es mir als Journalist darum, ?ber die Tatsachen zu berichten. Im Deutschen Nachrichtenmagazin ZUERST! berichten wir sehr intensiv seit dem sogenannten „EuroMaidan“ nicht nur ?ber die Hintergr?nde des politischen Umsturzes, sondern auch ?ber das Geschehen im Kriegsgebiet. Leider informieren die gro?en Leitmedien nur schlecht oder gar nicht, sie verdrehen die Wahrheit oder publizieren plumpe Kiewer Propaganda. Um es einmal anders zu formulieren: W?re nicht – auch mit deutschem Geld! – die legitime ukrainische Regierung Anfang 2014 gest?rzt worden, dann g?be es den „nicht einmal anerkannten Zwergstaat im Osten Europas“, wie Sie die Donezker Republik nennen, h?chstwahrscheinlich gar nicht. Wahrscheinlich w?re dann auch noch die Krim Teil der Ukraine.

Als patriotischer Deutscher setzt man sich f?r die Interessen seines Landes – also Deutschlands – ein. Die deutsche Bundesregierung, gro?e Teile der Bundestagsopposition, deutsche NGOs und Parteistiftungen unterst?tzten den Maidan und positionierten sich gegen Ru?land. Nach wie vor flie?en deutsche Steuergelder ?ber verschiedene Wege nach Kiew und st?tzen das dortige Regime. Die Granaten, die auf Zivilisten im Donbass fallen, werden indirekt von uns mitfinanziert. Eigentlich h?tte man schon lange alle Zahlungen und Unterst?tzungsleistungen an die Ukraine stoppen m?ssen. Doch in Berlin l??t man sich lieber – einmal mehr – zum amerikanischen Hanswurst machen und bet?tigt sich sogar als Schrittmacher der anti-russischen Politik. Diese Politik schadet den Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Deutschlands. Je schneller diese falsche Politik endet, desto besser. F?r Deutschland, ganz Europa und Ru?land und auch die Ukraine. Die Amerikaner f?nden das nat?rlich nicht gut. Aber auch hier brauchen wir k?nftig ein neues Politikverst?ndnis auf der Basis eines gesundes Desinteresses gegen?ber US-amerikanischen W?nschen.

Weitere Infos zum Thema: http://germancenter.net/

 

Zur Person: Manuel Ochsenreiter, geboren 1976 im Allg?u, war von 2004 bis 2011 Chefredakteur der Deutschen Milit?rzeitschrift. Seit 2011 ist er f?r die Redaktion der Monatszeitschrift Zuerst! verantwortlich. Bei Russia Today und Press TV ist er ein gesch?tzter Interviewpartner zu geopolitischen Themen. Im M?rz 2016 rief er das „Deutsche Zentrum f?r Eurasische Studien“ ins Leben.