Published: NORTEXA.
„Erdogan treibt seinen Preis f?r den Westen in die H?he“
Von Ruedi Strese
Die Ereignisse um den Putschversuch in der T?rkei sind vielschichtig und schwer zu durchschauen. Neben der bislang nicht eindeutig gekl?rten Urheberschaft und den Folgen f?r die innere Verfa?theit des t?rkischen Staates sind es vor allem die geopolitischen m?glichen Implikationen, die zu zahlreichen Spekulationen anregen. Manuel Ochsenreiter vom Deutschen Zentrum f?r Eurasische Studien beantwortete uns dazu einige Fragen.
Nortexa: Herr Ochsenreiter, das Blut der von Erdogan-Anh?ngern gek?pften Soldaten war noch ganz warm, da hatte sich der Westen schon unmi?verst?ndlich auf die Seite der „Demokratie“, das hei?t in diesem Fall: Erdogans, gestellt…
Ochsenreiter: Das war zu erwarten und ist nicht weiter ?berraschend. In diesem Fall ist es sogar nachvollziehbar. Erdogan ist – im Unterschied zu Joachim Gauck – direkt gew?hlter Pr?sident der T?rken. Seine AKP h?lt die Mehrheit im Parlament. Er ist also tats?chlich derjenige, den die t?rkischen B?rger mehrheitlich als Pr?sident wollen.
Aber darum geht es dem Westen nat?rlich nicht. Der will die Erdogan-T?rkei im westlichen B?ndnis halten. Deshalb positionierte man sich in der Vergangenheit sogar auf Erdogans Seite, wenn seine Politik ganz klar gegen die Interessen Europas und Deutschlands gerichtet war. Kritik kommt allenfalls, wenn es um die Menschen- und B?rgerrechte in der T?rkei geht, also innere Angelegenheiten, die uns im Grunde nichts angehen.
Nortexa: Dennoch hat Erdogan schwere Vorw?rfe an die USA gerichtet…
Ochsenreiter: Erdogan und seine Anh?nger werfen der sogenannten „G?len-Bewegung“, die ihre Basis in den USA hat, vor, hinter dem Umsturzversuch zu stehen – mit Unterst?tzung US-amerikanischer Dienste. Fethullah G?len, ein fr?herer Erdogan-Freund und Anf?hrer dieser Bewegung, streitet wiederum jegliche Beteiligung ab. In der Tat ist das alles sehr fragw?rdig, aber auch nicht ausgeschlossen. Die dilettantische Durchf?hrung des gescheiterten Putsches l??t allerdings Zweifel aufkommen, ob hier wirklich ein westlicher Dienst – wie etwa die CIA – ihre H?nde mit im Spiel hatte.
Nortexa: Da? das offizielle Ru?land sich diplomatisch gibt, mag hinsichtlich einer Begrenzung des in Syrien eskalierten Konfliktes, verst?ndlich sein. Nun scheinen aber pl?tzlich selbst entschieden anti-westliche russische Geopolitik-Analysten Erdogan als Verb?ndeten zu betrachten und meinen, nach einem gescheiterten pro-westlichen Coup werde die T?rkei sich Ru?land zuwenden…
Ochsenreiter: Einige russische Analysten sehen in dieser Entwicklung eine realistische Chance, die T?rkei aus der NATO „herauszubrechen“. Erdogans ?rger ?ber die USA, ?ber Europa, seine formale Entschuldigung f?r den Abschu? des russischen Kampfjets ?ber Syrien – in all dem kann man eine Absetzbewegung des t?rkischen Pr?sidenten erkennen. Die T?rkei ist nach wie vor eines der wichtigsten NATO-Mitgliedsl?nder. Ein NATO-Austritt der T?rkei und eine sicherheitspolitische Hinwendung zu Ru?land w?re in der Tat ein geopolitisches Erdbeben – viel gr??er als die Wiedervereinigung der Krim mit der Russischen F?deration.
Allerdings mu? man stets die Analyse von Visionen unterscheiden. Auch in Ru?land wei? man sehr genau, da? Erdogan kein verl??licher Alliierter ist. Der t?rkische Pr?sident nutzte die Ausnahmestellung seines Landes schon oft zum „geopolitischen Swingen“ zwischen Washington und Moskau. In anderen Worten: Erdogan nutzt die geostrategische Lage seines Landes und seine eigene Stellung als Pr?sident stets zu seinem ureigenen – auch kommerziellen – Vorteil. Ich pers?nlich bezweifle daher, da? eine Erdogan-T?rkei aus der NATO austreten w?rde. Ich glaube viel mehr, er n?hert sich jetzt f?r einige Zeit Moskau an, um seinen „Preis“ f?r den Westen nach oben zu treiben. Erdogan ist gef?hrlich – nicht nur f?r seine Gegner, sondern auch f?r seine Alliierten. Das sieht man mit Sicherheit auch in Moskau.
Nortexa: Selbst der Iran hat den Putschversuch verurteilt und, so ist zu lesen, sich hinter Erdogan gestellt. Dies ist insbesondere angesichts des Interessengegensatzes in Syrien kaum zu verstehen.
Ochsenreiter: Die Tatsache, da? man die t?rkischen Aktivit?ten in Syrien strikt ablehnt, hei?t noch lange nicht, da? man einen gewaltsamen Umsturz guthei?t. Die Iraner sind nun mal nicht die Amerikaner.
Nortexa: Was denken Sie, welche Bedeutung ist den wenige Tage vor dem Putsch get?tigten ?u?erungen des t?rkischen Premiers und AKP-Vorsitzenden Binali Y?ld?r?m, hinsichtlich einer Verbesserung der Beziehungen zu Syrien beizumessen?
Ochsenreiter: Gro?e Worte, denen noch Taten folgen m?ssen. Es liegt vor allem in der Hand Ankaras, ob in Syrien Frieden herrscht. Meinen es die T?rken ernst, m?ssen sie sofort:
– jegliche Unterst?tzung f?r Terrorgruppen auf syrischem Boden einstellen. Und das ist nicht nur der IS, sondern noch viele andere Verb?nde.
– die syrisch-t?rkische Grenze wieder sperren, damit keine Dschihadisten ?ber die T?rkei nach Syrien einreisen k?nnen. Die T?rkei m??te auch dabei helfen, die syrischen Grenzstationen, die sich in der Hand von Terroristen befinden, den syrischen Streitkr?ften zu ?bergeben.
– gestohlenes syrisches Eigentum, das in der T?rkei auf M?rkten als Hehlerware verkauft wird, wieder an die rechtm??igen syrischen Eigent?mer zur?ckgeben. Wir sprechen hier ?ber ganze Fuhrparks und Industrieanlagen.
– Entsch?digung an die syrische Regierung zahlen
Dazu kommt noch vieles mehr. Angesichts der Tatsache, da? Erdogans Familie selbst tief in die Kriegsgewinnler-Mafia verstrickt ist, erscheinen solche Ma?nahmen heute unwahrscheinlich.
Nortexa: Syriens Pr?sident Bashar al-Assad hat klar darauf hingewiesen, da? der Hauptaspekt des Putsches, was auch immer die Hintergr?nde seien, die bereits erfolgte Ausschaltung innenpolitischer Gegner Erdogans sei. Fallen Ru?land und der Iran mit ihrer Unterst?tzung Erdogans Syrien in den R?cken, oder wird hier das diplomatische Parkett f?r kommende Verhandlungen gegl?ttet?
Ochsenreiter: Wir d?rfen nicht vergessen: Assad wurde von Erdogan 2011 eiskalt verraten und ans Messer geliefert. Vor 2011 trat Erdogan fast wie ein pers?nlicher Freund Assads auf. Nur ein Beispiel: 2007 wurde das gro?e Fu?ballstadion in Aleppo mit einem Freundschaftsspiel zwischen Al-Ittihad Aleppo und Fenerbah?e Istanbul eingeweiht. In der VIP-Box sa?en damals die Ehepaare Assad und Erdogan und verfolgten das Spiel, da? mit 2:2 unentschieden endete. Die Medien schrieben damals vom „Sieg der Freundschaft“. Nur vier Jahre sp?ter rammte Erdogan dem syrischen Pr?sidenten den Dolch in den R?cken und ?berzieht seitdem Syrien mit Krieg und Zerst?rung. Kein Wunder also, da? Assad sehr skeptisch gegen?ber Ank?ndigungen aus Ankara ist. Wahrscheinlich hat er damit Recht.
Aber auch Assad ist Politiker und wei? um den Wert der Diplomatie – vor allem jener Diplomatie, die man eben nicht jeden Tag in den Medien verfolgen kann. Druck aus Moskau und Teheran, Angebote aus Ru?land und dem Iran k?nnten durchaus darauf abzielen, die Syrienpolitik der T?rkei entscheidend zu ?ndern. Aber auch f?r Assad z?hlen hier mehr Taten als Worte. Wollte Ankara seine kriegerische Politik gegen?ber Syrien beenden, d?rfte dies eben nicht nur in Pressemitteilungen geschehen.
Nortexa: Welche Auswirkungen werden die Ereignisse in der T?rkei auf die Beziehungen zwischen der T?rkei und der EU sowie der NATO haben?
Ochsenreiter: Entgegen der ?ffentlichen Bekundungen aus Washington, Br?ssel und Berlin glaube ich nicht, da? man sich von Ankara abwendet. Im Gegenteil. Man wird sich jetzt „noch mehr bem?hen“, die T?rken bei sich zu halten. Praktisch hei?t das: mehr politische Zugest?ndnisse, mehr Geld. Je ?fter Erdogan in Moskau anruft, desto h?her steigt sein Preis f?r den Westen. Erdogan kennt das Spiel, und er beherrscht es. Und er wei?: Am Ende bezahlen die Deutschen immer. Darauf kann man sich verlassen. Noch zumindest.
Zur Person: Manuel Ochsenreiter, geboren 1976 im Allg?u, war von 2004 bis 2011 Chefredakteur der Deutschen Milit?rzeitschrift. Seit 2011 ist er f?r die Redaktion der Monatszeitschrift Zuerst! verantwortlich. Bei Russia Today und Press TV ist er ein gesch?tzter Interviewpartner zu geopolitischen Themen. Im M?rz 2016 rief er das „Deutsche Zentrum f?r Eurasische Studien“ ins Leben.