PHOTO: Manuel Ochsenreiter mit Natalya Nikonorova, der Außenministerin der Volksrepublik Donezk.
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„Granaten auf Zivilisten werden indirekt von der Bundesrepublik mitfinanziert“
Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Zuerst!, ist bekannt dafür, abseits des Mainstream von Brennpunkten des Weltgeschehens zu berichten. Zuletzt besuchte er die Volksrepublik Donezk, welche sich nach dem Kiewer Putsch 2014 von der Ukraine abgespalten hatte. Nortexa wollte mehr darüber erfahren.
Das Gespräch führte Ruedi Strese
Nortexa: Herr Ochsenreiter, Sie waren kürzlich in der Volksrepublik Donezk, die sich im April 2014 nach dem „Euromaidan“ von der Ukraine gelöst und für unabhängig erklärt hat, auf „Beobachtungsmission“. Was sollten Sie dort beobachten?
Ochsenreiter: Der Schwerpunkt lag diesmal bei der Beobachtung der Vorwahlen in der Donezker Republik. Diese sind ein wichtiger Schritt im Vorfeld der anvisierten Regionalwahlen. Für die Verantwortlichen in Donezk ist es wichtig zu zeigen, daß sie eben keine „Terroristen“ sind, wie sie von Kiew und einigen westlichen Medien und Politikern genannt werden, sondern den Aufbau eines demokratischen Staatswesens vorantreiben. Die deutsche Gruppe von Beobachtern bestand aus zwei Landtagsabgeordneten (Udo Stein aus Baden-Württemberg und Thomas Rudy aus Thüringen) und mir als Direktor des Deutschen Zentrums für Eurasische Studien.
Darüberhinaus beinhaltet eine solche Mission immer auch „Crisis Monitoring“. Wir besuchten mehrere Ortschaften, die fast tagtäglich den Bruch der Minsker Vereinbarungen durch die ukrainische Seite ertragen müssen – also beschossen werden.
Nortexa: Gibt es derzeit realistische Aussichten auf eine dauerhafte friedliche Lösung für den Konflikt um die Ostukraine?
Ochsenreiter: Um eine friedliche Lösung zu finden, müssen sich alle Parteien am Verhandlungstisch auf einen Status für das umstrittene Gebiet einigen. Das gleicht derzeit in der Tat der Quadratur des Kreises: die ukrainische Seite und ihre westlichen Verbündeten pochen auf die territoriale Integrität der Ukraine, die Repräsentanten des Donbass nehmen das Selbstbestimmungsrecht der Völker für sich in Anspruch. Die Fronten scheinen sich derzeit eher zu verhärten als sich auf einen Kompromiß zuzubewegen. Kiew kündigte bereits mehrmals Säuberungen in den heutigen Volksrepubliken im Falle einer Rückkehr in den ukrainischen Staat an.
Solche Prozesse wie die Minsker Verhandlungen können sich in die Länge ziehen. Bestes Beispiel: Berg-Karabach. Seit 1994 wird von der Minsker Gruppe der OSZE über das Gebiet, das völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans gesehen wird, sich aber nach dem Zerfall der Sowjetunion für unabhängig erklärt hat, weitestgehend ergebnislos verhandelt. Die Republik Berg-Karabach wird heute zwar von niemandem anerkannt, aber sie existiert und hat alle staatlichen Institutionen entwickelt. Ähnlich könnte es auch im Fall der beiden Donbass-Republiken gehen.
Nortexa: Die Bezeichnung für Donezk in den hiesigen Mainstreammedien ist „selbsternannte Volksrepublik“. Wie aber ist das Selbstverständnis dieser Volksrepublik Donezk?
Ochsenreiter: Zunächst ist der Begriff „selbsterklärt“ zwar richtig, aber immer auch etwas irreführend. Natürlich haben sich die beiden Gebiete um Donezk und Lugans „selbst zu Republiken“ erklärt, wer hätte das auch sonst tun sollen? Der Begriff „selbsterklärt“ spielt aber vor allem auf die fehlende internationale Anerkennung an. Die ukrainische Seite sowie die westlichen Förderer des Kiewer Regimes wollen Donezk und Lugansk die Legitimation absprechen. Das Selbstverständnis beispielsweise der Volksrepublik Donezk ist natürlich ein völlig anderes: „Wir haben uns nach dem Putsch in Kiew im Frühjahr 2014 für unabhängig erklärt. Wir bauen unser eigenes Staatswesen auf.“
Nortexa: Inwieweit kann von einem funktionierenden Staat gesprochen werden?
Ochsenreiter: Wir können über den Aufbau eines Staatswesens unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen sprechen. Es wäre naiv anzunehmen, daß mit der Unabhängigkeitserklärung 2014 automatisch ein plötzlich vollentwickeltes Staatswesen dagewesen wäre.
Nortexa: Von anderen Staaten anerkannt ist Donezk, soweit ich weiß, bislang nicht. Inwieweit gibt es aber trotzdem internationale diplomatische Kontakte?
Ochsenreiter: Die Volksrepublik Donezk ist ein nicht-anerkannter Staat, das ist richtig. Und das scheint sich auch vorerst nicht zu ändern. Es gibt natürlich einen Austausch mit anderen Staaten – allerdings nicht auf offizieller Regierungsebene. Aus Sicht der Donezker Regierung ist jeder Ausländer, der die junge Republik besucht, wertvoll.
Nortexa: Es ist zu lesen, daß eine große Zahl von Ausländern nach Donezk geströmt sein soll. Stimmt das, und wenn ja, was sind das für Menschen? Getarnte russische Truppen? Abenteurer? Leute, die ein neues Utopia suchen?
Ochsenreiter: In der Tat besuchen Ausländer – trotz der Proteste aus Kiew – die beiden Republiken. Im Juli war beispielsweise eine finnische Touristengruppe dort. Auch viele ausländische Journalisten habe ich getroffen, Kollegen aus Italien, Großbritannien, Finnland und Serbien. Russische Truppen habe ich nicht gesehen.
Nortexa: Regierungschef Alexander Sachartschenko hat im Mai erklärt, eine Volksabstimmung über einen Anschluß an Rußland sei möglich. Für Kiew sicher eine absolute Provokation…
Ochsenreiter: Fragt man die Menschen in Donezk, ist eine Vereinigung mit der Russischen Föderation für viele das große Ziel. Allerdings ist das derzeit äußerst unwahrscheinlich. In Donezk und Lugansk konzentriert man sich vor allem darauf, die staatlichen Strukturen zu entwickeln. Allerdings müßte auch Kiew klar sein, daß jede ukrainische Granate, die in einem Dorf auf dem Territorium der Donezker Volksrepublik detoniert, den Wunsch nach einer Vereinigung mit Rußland nährt.
Nortexa: Wie weit geht überhaupt Rußlands Engagement in Donezk? Was ist die russische Haltung zum dortigen Geschehen?
Ochsenreiter: Zweifelsohne blickt man in Donezk und Lugansk hoffnungsvoll nach Moskau. Rußland fährt in der Frage der beiden Republiken eine deeskalierende Politik. Die Minsker Verhandlungen sind bekanntlich „ergebnisoffen“. Würde Rußland tatsächlich einen Krieg provozieren wollen, wie es so viele westliche Journalisten und Politiker behaupten, würde Moskau völlig anders agieren.
Nortexa: Wir können davon ausgehen, daß die Ansicht von Transatlantikern wie Boris Reitschuster, die in rußlandfreundlichem Journalismus lediglich das Tun von Rußland zur hybriden Kriegsführung engagierter Putin-Trolle erblicken, nicht der Sachlage entspricht. Wieso aber sollte sich ein konservativer oder patriotischer Deutscher für einen nicht einmal anerkannten Zwergstaat im Osten Europas interessieren?
Ochsenreiter: Zunächst einmal geht es mir als Journalist darum, über die Tatsachen zu berichten. Im Deutschen Nachrichtenmagazin ZUERST! berichten wir sehr intensiv seit dem sogenannten „EuroMaidan“ nicht nur über die Hintergründe des politischen Umsturzes, sondern auch über das Geschehen im Kriegsgebiet. Leider informieren die großen Leitmedien nur schlecht oder gar nicht, sie verdrehen die Wahrheit oder publizieren plumpe Kiewer Propaganda. Um es einmal anders zu formulieren: Wäre nicht – auch mit deutschem Geld! – die legitime ukrainische Regierung Anfang 2014 gestürzt worden, dann gäbe es den „nicht einmal anerkannten Zwergstaat im Osten Europas“, wie Sie die Donezker Republik nennen, höchstwahrscheinlich gar nicht. Wahrscheinlich wäre dann auch noch die Krim Teil der Ukraine.
Als patriotischer Deutscher setzt man sich für die Interessen seines Landes – also Deutschlands – ein. Die deutsche Bundesregierung, große Teile der Bundestagsopposition, deutsche NGOs und Parteistiftungen unterstützten den Maidan und positionierten sich gegen Rußland. Nach wie vor fließen deutsche Steuergelder über verschiedene Wege nach Kiew und stützen das dortige Regime. Die Granaten, die auf Zivilisten im Donbass fallen, werden indirekt von uns mitfinanziert. Eigentlich hätte man schon lange alle Zahlungen und Unterstützungsleistungen an die Ukraine stoppen müssen. Doch in Berlin läßt man sich lieber – einmal mehr – zum amerikanischen Hanswurst machen und betätigt sich sogar als Schrittmacher der anti-russischen Politik. Diese Politik schadet den Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen Deutschlands. Je schneller diese falsche Politik endet, desto besser. Für Deutschland, ganz Europa und Rußland und auch die Ukraine. Die Amerikaner fänden das natürlich nicht gut. Aber auch hier brauchen wir künftig ein neues Politikverständnis auf der Basis eines gesundes Desinteresses gegenüber US-amerikanischen Wünschen.
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Zur Person: Manuel Ochsenreiter, geboren 1976 im Allgäu, war von 2004 bis 2011 Chefredakteur der Deutschen Militärzeitschrift. Seit 2011 ist er für die Redaktion der Monatszeitschrift Zuerst! verantwortlich. Bei Russia Today und Press TV ist er ein geschätzter Interviewpartner zu geopolitischen Themen. Im März 2016 rief er das „Deutsche Zentrum für Eurasische Studien“ ins Leben.